Ausradiert

Ausradiert              ©                                                    Iris Hanousek-Mader

eine kleine Stehlampe im wogenden Getreide

der Kegel ihres Scheins malt jede Ähre gelb

in jeder Furche brummt ein Käfer

Kornblumen spielen mit den Schmetterlingen

der Apfelbaum im Garten

schwer beladen mit glänzenden Früchten

die Holzleiter stützt die Äste der alten Borke

als wäre sie ihre Krücke

in der Luft ein Duft, der süß und manchmal bitter schmeckt

ein Gedeihen in der Sommersonne

bis zu jenem Tag da Sicheln die Halme schneiden

und Frauenhände Äpfel pflücken

mit einem Male ist es leer, aufgeräumt in der Natur

als hätte die Ernte mein Bild ausradiert

das Zimmer zum Hof

die kleine Stehlampe auf dem Nachttisch

der Kegel ihres Scheins zeigt auf dein leeres Bett

verloren hängen Fotos mit lachenden Kindergesichtern an der Wand

deine faltigen Hände – aufgelöst  

Geschichten aus deinem Leben werden zu Samen für neue Felder

Mit einem Male ist es leer, aufgeräumt hat die Natur

als hätte die Ernte dein Bild ausradiert

Begierde

Begierde

 

Deine Augen speisen surrenden Strom

in die Hochmasten meines Sonnengeflechts.

 

Ungeniertes Begehren wühlt in der Anatomie.

 

Des Weibchens Herz zieht in das Oberstübchen.

Das Hirn fährt fort nach Panama.

 

Der Kitzler steht am Scheideweg der Lust.

 

Vergebens – blüh´n die dornenlosen Rosen

im dunkelbraunen Busch.

 

© Iris Hanousek-Mader

 

Abendfrieden

 

 

Abendfrieden

 

Abends sitzen die müden Tauben in ihren rollenden Eisenstühlen.

Sie gurren nach Mutter Theresa.

 

Eilig flattert der weiße Kittel durch den Flur.

Aus dem Nachttopf sprudelt immerzu kalter Schweiß und heiße Not.

Die Isolation läuft die Gänge entlang und verteilt zimmerweise ihr Mitleid.

 

Was ihr dem geringsten tut, erzählt über eure eigene Wut!

 

Begegnung von seelenlosen Körpern

ist ein rachitisches Skelett.

 

Affengeschrei

 

ein Tropfen Mut dem Taubenherz

für den Gang über die Brücke zum Du

 

Abendfrieden

 

 

© Iris Hanousek-Mader 17.08.08 Karlsruhe/Waidhofen a. d. Ybbs

 

Bei den nackerten Weibern

Bei den nackerten Weibern                       ©                                                          Iris Hanousek-Mader

Ein Mädchen steht am Rand des Wassers. Die Steine des Baches glucksen, singen ein Lied, das so grün ist, wie der Wald, der ihn beschützt. Am Ende des Tales steht ein kleiner Hügel, auf dem Kühe weiden und wenn Liesi ihre Augen schließt  und kurze Zeit später wieder öffnet, dann sind die grasenden Fellflecken, die zuerst rechts unten waren, verschwunden. Sie muss einige Zeit den Erdbuckel absuchen, bis sie die Wiederkäuer auf ihm, links oben findet.

Im Hintergrund konzertieren Vögel. Ein ganzes Orchester, stimmt sich auf den Tag ein. Dazwischen trällern vereinzelt Amselsolisten.

Nebel taucht aus dem Wald auf, zieht über die grünen Anhöhen, streift sie. Der weiße Schleier ist wie der nasse Pinsel meines Malkastens, denkt Liesi, mit dem ich alle Farben auf dem Zeichenblatt auflösen kann.

Die Nebel schweben um die grüne Kuppe, einzelne Bäume verschwinden, tauchen wieder auf, Kühe gehen verloren und erscheinen an einem anderen Ort. Die tanzenden Schleier schaukeln unschlüssig hin und her, teilen sich in Gestalten, die Liesi nicht zu beschreiben vermag. Als sie glaubt, sie hätte das Geheimnis der Formen gelüftet, zerreißen die Nebel, lösen sich auf, wie ihr Vater. Er war ein starker Mann, voller Energie, so bunt und seine Hände waren sanft. Er hatte lange Finger.

Jetzt in der Frische des Morgens trägt sie seine Weste, die ihr bis zu den Waden reicht. Immer wieder legt sie den Kopf auf die rechte Schulter, hebt diese ein paar Zentimeter in die Höhe und dann kann sie mit ihrer Nase an der Wolle riechen. Wisst ihr, dass Wolle Gerüche speichert, jahrelang. Immer wenn sie traurig ist, dann riecht sie an der Weste und schon steht ihr Vater neben ihr und lacht sie an.

Erst gestern hat Liesi wieder geweint. Sie ist in die Kirche gegangen und hat sich auf die Bank gesetzt. Das Mädel hob den Kopf und sah auf den Altar, auf dem eine Menge nackter Puten das Allerheiligste umflog. Daneben standen starr vergoldete Heilige und ganz in der Höhe, unter dem Plafond war das Buch zu sehen, das die „Zehn Gebote“ beherbergt. Es war ihr, als stünde die Schrift und überhaupt alles zwischen ihr und dem Himmel. Der Himmel war weit weg. Da ist plötzlich der Herr Pfarrer da gestanden und hat sie gefragt: „Ja Liesl, warum bist den so traurig?“ Ich weiß nicht, wo der Papa ist“, hat sie gesagt. „Wo glaubst denn, dass er sein könnte?“

Da schaut die Liesl den Pfarrer an, zeigte auf die Puten und sagte: „Ja bei den nackerten Weibern.“ Stille. Rot färbte sich das Gesicht des Geistlichen und lauthals hat der Pfarrer losgelacht. Dann setzte er sich neben sie und sah ihr in die traurigen Augen. Wissend, dass die Sterbenden ihre Liebe auf der Erde zurücklassen und wir sie fühlen können, wenn da die Trauer nicht wäre, die uns einsam macht und ängstlich. Er hat sie getröstet und ihr den Rat gegeben, in den Wald zu gehen, denn den Bäumen könnte sie ihr Leid anvertrauen und die würden ihr gut tun. Ihr Papa, der sei im Himmel bei den Heiligen, in den Schoß der Natur zurückgekehrt und da ginge es ihm gut.

Jetzt steht die Liesi am Bach, im Wald, unter den Bäumen, mit dem Blick auf den Hügel, da wird ihr mit einem Male klar, der Tod ist ein Pinsel, er hat den Papa aufgelöst, um ihn an einem anderen Ort wieder aufzuzeichnen. Die Bäume stehen still, eine leichte Brise neigt ihre Wipfel. Da lacht die Liesl auf einem Mal und ihr Gemüt erhellt sich. Was einmal war, ist immer, denkt sie, es zeigt sich halt anders.

Die steirische Mumie

Die steirische Mumie     ©                                                       Iris Hanousek-Mader

Das Druckgeschwür unserer Zeit entsteht durch die Humorlosigkeit unserer Gesellschaft. Das geht ganz tief. Durchdringt alle Hautschichten bis in die Knochen. Unsere Stützapparate sind bereits geschwächt. Dem Schwarzweiß des Alltags fehlen die Farben des Lachens.

Der Großvater war Wirt in einem Landgasthaus in Murau und mir ein Vorbild in dieser Angelegenheit. Oft trieb er Schabernack mit seinen Gästen, mal sang er als venezianischer Gondoliere Lieder für sie, dann trieb er sie von Almhütte zu Almhütte und versorgte sie mit Geschichten von der Habergoas, dem Kasamandl und frechen Sennerinnen.

Doch nicht nur seine Witze waren legendär auch die Anekdoten über ihn und eine davon wird noch heute als Amuse-Gueule (Appetithäppchen) bei den Zusammenkünften der Murauer Bürger an ihren Stammtischen durchgereicht.

Es war mittags und mein Großvater pflegte seinen sonntäglichen Schlaf. Vor dem Wirtshaus unter seinem Schlafzimmerfenster versammelten sich junge Bauernburschen aus der Umgebung. Sie lachten laut und riefen vorbeifahrenden Frauenzimmern Schmähs und Komplimente zu. Manche trieben es gar bunt.

Einer der jungen Herren begann, angetrieben durch einen Testosteronschub, wie ein röhrender Hirsch zu rülpsen. Dabei zog er alle Darmregister und die Umstehenden feuerten den Urlautjodler zu Höchstleistungen an. Der Lärmpegel erreichte eine Lautstärke die mein Großvater aus seinen Träumen riss. Er fuhr auf dem Bett hoch, dabei sah er aus wie eine Mumie. Auf dem Kopf saß ein Haarnetz, das seine schwarzen Haare bändigte. Über dem Schnauzbart klebte eine Binde. Die Unterwäsche hing schlaff bis zu seinen Knien. Der Hinterteil war durch einen kleinen braunen Fleck gestempelt. Das Unterhemd war ausgeleiert und auf der rechten Seite quoll die Brust aus dem rechten Armloch hervor. Die Augen waren kaum geöffnet, da seine starke Alterssichtigkeit ihm den Blick vernebelte.

Das künstliche Gebiss war herausgenommen und lag noch im Zahnputzbecher auf dem Regal über dem Waschbecken. Die Wangen waren eingefallen und er griff nach seinen Brillen.

Die steirische Mumie wankte durch das Schlafzimmer zum Fenster hin. Hantierte umständlich an den Fenstergriffen, öffnete die Flügel. Da stand er, der Gastwirt in der ausgebeulten, gelblichen, knielangen Unterhose. Durch das Haarnetz, die verschwollenen Augen und die Bartbinde entstellt und dort wo seine weißen Zähne blitzten, war ein schwarzes Loch. Der Aufgeweckte schrie aus Leibeskräften:

Fleichts euch ihr Gfindl!  Schleichts euch ihr Gesindl!

Zuerst war es still auf der Straße. (…) Die rotbackige Bauerngesellschaft stand wie angewurzelt da, der Store bewegte sich sanft im Wind, ein Moment, wie ein Bild von Breugel dem Maler.  Die Augen der jungen Männer auf der Straße unter dem Fenster weiteten sich und die Mundwinkel begannen zu zucken. Einen Augenblick später tanzten die Zähne auf ihren Lippen. Die gestandenen Mannsbilder lachten, wieherten, wie ihre aufgeregten Haflinger, kurz bevor zu zur Stute können.

Der vernetzte Großvater stand da und funkelte auf die Burschen hinunter.

„Ja, Lerchervater“, schrie ein Bauer aus Stadl rauf. „Kommst leicht grad aus Ägypten?“ Alle lachten. Nach ein paar Minuten blitzten auch seine Augen, sein Mund verzog sich und seine eingefallenen Lippen begannen zu zucken. Er lachte, dabei rann ihm Speichel aus den Mundwinkeln. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann schloss die Fenster, drehte er sich um und ging ins Bad um sich, wie er zu sagen pflegte, zu kultivieren.

Eine halbe Stunde später saßen alle der zivilisierte Großvater und die Bauernschaft aus der Region am Stammtisch um ausgiebig zu zechen.