Bei den nackerten Weibern

Bei den nackerten Weibern                       ©                                                          Iris Hanousek-Mader

Ein Mädchen steht am Rand des Wassers. Die Steine des Baches glucksen, singen ein Lied, das so grün ist, wie der Wald, der ihn beschützt. Am Ende des Tales steht ein kleiner Hügel, auf dem Kühe weiden und wenn Liesi ihre Augen schließt  und kurze Zeit später wieder öffnet, dann sind die grasenden Fellflecken, die zuerst rechts unten waren, verschwunden. Sie muss einige Zeit den Erdbuckel absuchen, bis sie die Wiederkäuer auf ihm, links oben findet.

Im Hintergrund konzertieren Vögel. Ein ganzes Orchester, stimmt sich auf den Tag ein. Dazwischen trällern vereinzelt Amselsolisten.

Nebel taucht aus dem Wald auf, zieht über die grünen Anhöhen, streift sie. Der weiße Schleier ist wie der nasse Pinsel meines Malkastens, denkt Liesi, mit dem ich alle Farben auf dem Zeichenblatt auflösen kann.

Die Nebel schweben um die grüne Kuppe, einzelne Bäume verschwinden, tauchen wieder auf, Kühe gehen verloren und erscheinen an einem anderen Ort. Die tanzenden Schleier schaukeln unschlüssig hin und her, teilen sich in Gestalten, die Liesi nicht zu beschreiben vermag. Als sie glaubt, sie hätte das Geheimnis der Formen gelüftet, zerreißen die Nebel, lösen sich auf, wie ihr Vater. Er war ein starker Mann, voller Energie, so bunt und seine Hände waren sanft. Er hatte lange Finger.

Jetzt in der Frische des Morgens trägt sie seine Weste, die ihr bis zu den Waden reicht. Immer wieder legt sie den Kopf auf die rechte Schulter, hebt diese ein paar Zentimeter in die Höhe und dann kann sie mit ihrer Nase an der Wolle riechen. Wisst ihr, dass Wolle Gerüche speichert, jahrelang. Immer wenn sie traurig ist, dann riecht sie an der Weste und schon steht ihr Vater neben ihr und lacht sie an.

Erst gestern hat Liesi wieder geweint. Sie ist in die Kirche gegangen und hat sich auf die Bank gesetzt. Das Mädel hob den Kopf und sah auf den Altar, auf dem eine Menge nackter Puten das Allerheiligste umflog. Daneben standen starr vergoldete Heilige und ganz in der Höhe, unter dem Plafond war das Buch zu sehen, das die „Zehn Gebote“ beherbergt. Es war ihr, als stünde die Schrift und überhaupt alles zwischen ihr und dem Himmel. Der Himmel war weit weg. Da ist plötzlich der Herr Pfarrer da gestanden und hat sie gefragt: „Ja Liesl, warum bist den so traurig?“ Ich weiß nicht, wo der Papa ist“, hat sie gesagt. „Wo glaubst denn, dass er sein könnte?“

Da schaut die Liesl den Pfarrer an, zeigte auf die Puten und sagte: „Ja bei den nackerten Weibern.“ Stille. Rot färbte sich das Gesicht des Geistlichen und lauthals hat der Pfarrer losgelacht. Dann setzte er sich neben sie und sah ihr in die traurigen Augen. Wissend, dass die Sterbenden ihre Liebe auf der Erde zurücklassen und wir sie fühlen können, wenn da die Trauer nicht wäre, die uns einsam macht und ängstlich. Er hat sie getröstet und ihr den Rat gegeben, in den Wald zu gehen, denn den Bäumen könnte sie ihr Leid anvertrauen und die würden ihr gut tun. Ihr Papa, der sei im Himmel bei den Heiligen, in den Schoß der Natur zurückgekehrt und da ginge es ihm gut.

Jetzt steht die Liesi am Bach, im Wald, unter den Bäumen, mit dem Blick auf den Hügel, da wird ihr mit einem Male klar, der Tod ist ein Pinsel, er hat den Papa aufgelöst, um ihn an einem anderen Ort wieder aufzuzeichnen. Die Bäume stehen still, eine leichte Brise neigt ihre Wipfel. Da lacht die Liesl auf einem Mal und ihr Gemüt erhellt sich. Was einmal war, ist immer, denkt sie, es zeigt sich halt anders.

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